Mehr Kinder als Frauen in Frauenhäusern
Kinder in MV leiden unter häuslicher Gewalt
SVZ | 23.02. | Hannes Henffler:
Oft sind nicht nur Frauen, sondern auch ihre Kinder Opfer von häuslicher Gewalt in MV. Um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, fordert Liane Dommer vom Schweriner Frauenhaus Unterstützung vom Land. Doch das stellt sich quer.
Es sind schlimme Geschichten, die einige Kinder schon in jungen Jahren erleben müssen. Sie handeln von Gewalt, Missbrauch und psychischen Qualen. Das Schema ist oft gleich: Der Vater ist gewalttätig und lässt seine Wut an seiner Frau und den Kindern aus. In der Not flüchten viele Mütter in ein Frauenhaus und nehmen ihre Kleinen mit. Dort werden sie aufgenommen, bekommen eine sichere Unterkunft. Doch die Probleme sind dadurch nicht einfach weg.
Liane Dommer, Leiterin des Schweriner Frauenhauses, hat schon viele traumatisierte Kinder aufgenommen. „Wir haben hier mehr Kinder als Frauen im Frauenhaus.“ Und genau deshalb bräuchte es eine Mitarbeiterin, die sich nur um die Kinder kümmert. Außer bei einem Frauenschutzhaus in Rostock gebe es allerdings keine entsprechenden Mitarbeiter in den Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern. Denn das Geld für diese Stelle will das Land seit Jahren nicht bewilligen, sagt Liane Dommer. Seit vielen Jahren beschwert sie sich, dass die Frauenhäuser Unterstützung bei der Betreuung von Kindern benötigen. „Häusliche Gewalt ist auch immer Kindeswohlgefährdung“, so die erfahrene Leiterin. „Wir könnten die Kinder viel besser auffangen, wenn sie eine eigene Ansprechperson hätten.“ Und das sei dringend nötig, um zu verhindern, dass das Kind später selbst einmal gewalttätig wird. „Wenn wir jetzt mit ihnen arbeiten könnten, besteht die Möglichkeit, diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.“
Immer wieder habe sie sich an das Land gewandt und um Unterstützung gebeten. Doch bislang ohne Erfolg. „Mir wurde immer wieder gesagt, dass dafür kein Geld zur Verfügung stünde.“ Auf Nachfrage bestätigt das zuständige Justizministerium, von der Forderung von Liane Dommer und ihren Kollegen zu wissen.
Das Ministerium befindet sich nach eigener Aussage in Gesprächen. „Eine Lösung des Problems ist aus hiesiger Sicht ausschließlich gemeinsam mit der Kinder- und Jugendhilfe zu erarbeiten. Vor diesem Hintergrund ist das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz auch im stetigen Austausch mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport“, heißt es von einer Sprecherin. Die Frage danach, ob das Ministerium vorhabe, eine entsprechende Stelle zu finanzieren, blieb allerdings unbeantwortet.
Stattdessen betont die Sprecherin, dass die Regierung im Jahr 2023 zirka 950.000 Euro für Frauenhäuser in MV ausgibt. Darüber hinaus sei das Land bestrebt, Lösungen zu entwickeln. So wurde beispielsweise ein Forschungsvorhaben am Rostocker Institut für Sozialforschung in Auftrag gegeben. Dadurch soll das Beratungs- und Hilfenetz für Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt überprüft und verbessert werden. „Im Rahmen des Forschungsvorhabens sollen Bedarfe auf Grundlage wissenschaftlicher Standards sichtbar gemacht werden und erste Ideen entwickelt werden, wie bestimmte Bedarfe zukünftig zu decken sind“, heißt es aus dem Ministerium. Der abschließende Bericht wird Ende 2023 erwartet.
Für Liane Dommer und ihr Team ist das zum aktuellen Zeitpunkt keine Unterstützung. Sie benötigen die Hilfe jetzt. Denn die häusliche Gewalt in MV nimmt zu. Das bestätigt auch das Land. Laut Innenministerium wurden im Jahr 2019 insgesamt 1756 Opfer von häuslicher Gewalt in MV in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. 2020 waren es schon 1898. Im Jahr 2021 stieg die Zahl erneut – auf 1957. Für 2022 liegen noch keine Daten vor. Es werde allerdings von einem erneuten Anstieg ausgegangen, heißt es aus dem Innenministerium.
Das bedeutet: Immer mehr Kinder müssen unter der Gewalt in den eigenen vier Wänden leiden. Und auch wenn Liane Dommer und ihre Kollegen versuchen, die Kinder mit aufzufangen, falle es ihnen schwer, ihnen die Fürsorge und Hilfe zu ermöglichen, die sie so dringend benötigen. „Die Kinder haben eine Chance auf ein gewaltfreies Leben verdient. Und so wird ihnen die Chance genommen“, sagt Dommer.