Häusliche Gewalt

Interventionsstelle rechnet mit mehr als 1000 Fällen in diesem Jahr

SVZ/Christian Koepke:

Die Interventionsstelle der Arbeiterwohlfahrt, die Betroffenen zur Seite steht, fordert vom Land mehr Geld für eine bessere Personalausstattung.

Ihr Partner beleidigt sie, prügelt auf sie ein, rastet völlig aus. Die Polizei wird gerufen, kommt der Mutter von zwei Kindern zur Hilfe, verständigt die Awo-Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking in Schwerin. Leiterin Michaela Kohnert schlägt der Frau vor, einen Antrag auf alleinige Nutzung der Wohnung zu stellen. Doch die Betroffene zögert. Er wolle sich ändern, habe ihr Freund versichert, um eine zweite Chance gebeten. Einen knappen Monat später muss die Polizei wieder eingreifen. Diesmal nimmt die Frau den Vorschlag von Michaela Kohnert an.
Ein Fall, der für viele Fälle steht. 725-mal sind Michaela Kohnert und ihr Team im vergangenen Jahr tätig geworden, haben Opfern von häuslicher Gewalt, zumeist Frauen, zur Seite gestanden. In diesem Jahr wird die Zahl der Fälle auf mehr als 1000 steigen. Ein Pensum, das Kohnert und ihre beiden Kolleginnen, die nicht nur für die Landeshauptstadt, sondern auch die Landkreis Ludwigslust-Parchim und Nordwestmecklenburg zuständig sind, kaum noch bewältigen können. Erst jüngst sendete die Arbeiterwohlfahrt deshalb einen Hilferuf für mehr finanzielle Unterstützung in Richtung Land.
„Seit 2010 beraten wir zusätzlich Betroffene von Stalking, seit 2018 gibt es sinnvolle, aber auch arbeitsintensive Fallkonferenzen zu Hochrisikofällen und seit vergangenem Jahr ist die Definition zu häuslicher Gewalt deutlich erweitert worden“, schildert Awo-Bereichsleiter Steffen Marquardt. So umfasse der Begriff nun auch Gewalt bei einem Paar, das nicht in einer Wohnung zusammenlebe, und Gewalt nach Beendigung einer Partnerschaft.
Das Problem: Während sich die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt seit 2006 mehr als verdreifacht habe, sei die Zahl der Personalstellen in der Interventionsstelle am Platz der Jugend gleich geblieben, erklärt Marquardt. Eine professionelle Hilfe sei unter diesen Bedingungen nur schwer zu leisten. „Wir brauchen mindestens zwei zusätzliche Kräfte in Schwerin“, so der Bereichsleiter. Dabei gehe es vor allem auch darum, sich intensiver um Kinder und Jugendliche in den betroffenen Familien kümmern zu können.
Eingeschaltet werden Michaela Kohnert und ihr Team jeweils von der Polizei, die nach einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt die Daten der Opfer übermittelt. „Aktuell erreichen uns 20 bis 30 Fälle pro Woche“, berichtet die Leiterin der Interventionsstelle. „Wir nehmen Kontakt zu den Betroffenen auf, sprechen mit ihnen, stabilisieren sie, suchen nach Möglichkeiten für einen künftigen Schutz vor Gewalt.“ Immer wieder falle in den Gesprächen mit den Frauen dieser Satz: „Endlich hört mir jemand zu und glaubt mir.“
„Häusliche Gewalt ist in allen Schichten der Gesellschaft anzutreffen“, berichtet Michaela Kohnert. Zu den Aufgaben der Interventionsstelle würden auch die Öffentlichkeitsarbeit, die Kooperation mit dem Frauenhaus und anderen Gewaltschutzeinrichtungen sowie Schulungen bei der Polizei gehören. „Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist sehr gut“, betont die Leiterin.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres nahm allein die Polizei in der Landeshauptstadt 196 Strafanzeigen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt auf. Laut Polizeisprecherin Juliane Zgonine ging es dabei unter anderem um Rohheitsdelikte, Bedrohungen, Beleidigungen, unbefugtes Nachstellen und Sachbeschädigung. Die Polizei registriere ein gesteigertes Anzeigeverhalten bei häuslicher Gewalt, was vermutlich auch mit einer stärkeren Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema zusammenhänge, so Zgonine.
Über die Einleitung eines Strafverfahrens hinaus prüfe die Polizei immer auch, ob Maßnahmen zur Sicherheit der Opfer notwendig seien, erklärt die Polizeisprecherin. So würden regelmäßig Platzverweise, Betretungs- und Aufenthaltsverbote ausgesprochen. Neben der Interventionsstelle stehe die Polizei auch im Austausch mit dem Jugendamt und der Staatsanwaltschaft, so Zgonine.
Für die Beamten seien Einsätze mit häuslicher Gewalt oft emotional belastend, erforderten nicht selten zudem ein hohes Maß an Eigensicherung, wenn etwa ein Streit eskaliere, unterstreicht die Polizeisprecherin. Auch Interventionsstellen-Leiterin Michaela Kohnert spricht von besonderen Herausforderungen in ihrem Job. Umso wichtiger sei eine angemessene Personalausstattung. „Es ist schwer zu akzeptieren, wenn man nicht allen Betroffenen voll gerecht werden kann“, so Kohnert.

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